Pfingstbräuche in Riehe
Jugend bleibt doch Jugend. Zinrk und auch die anderen "Jungens", und damit meinte man ja die Erwachsenen, aber die noch Unverheirateten. Sie gingen nach dem Abendbrot mit den Mädchen auf Tteatjens Scheundiele, "däin Mabeom" zu binden. Ja, er mußte gebunden werden.
Die Jungen hatten schon den längsten Weberbaum ausgesucht, ihn mit einem kürzeren Baum zu einem riesengroßen Kreuz versehen und oben auf die Spitze einen etwas einen Meter hohen Holzsoldaten befestigt, der noch aus der Kurfürstenzeit stammte und in seiner blauen Uniform mit Schnüren an die Kasseler Husaren erinnerte. Die Kleinknechte hatten aus den Kämpen schon das nötige Laubgrün geholt, das jetzt die Mädchen mit mitgebrachten selbst gesponnen "Wurstgarn" um das gewaltige Kreuz banden. Die Großknechte machten inzwischen das Loch, in welchem der Maibaum errichtet werden sollte. Die Dienstjungen stellten nicht weit davon lange grüne Braken zu einer Laube auf, in welcher die Großknechte die Nacht Wache hielten.
Der Pfingstbaum mit Ehrenpforte über die Straße, in
Hohnhorst im Jahre 1928
links 2. Haus Gasthaus Weihe, rechts die Schule
(über ein solches Bild aus Riehe wäre ich sehr dankbar...)
Sie mußten in diesem Jahre vor allen Dingen vor den Kreuzriehern auf der Hut sein, die im vorherigen Jahr das Pech hatten, ihren fertigen Maibaum von den Riehern forttragen zu lassen, die dann diese Siegesbeute stolz neben dem ihrigen stellten. Das war nur möglich gewesen, weil die Wächter für eine Weile davon gegangen waren, um ihren Bräuten einen Pfingststrauß hinter das Kammerfenster zu bringen. So mußte man denn diesmal zur Schande der Jungen das Pfingstfest in Kreuzriehe ohne Maibaum feiern. Sie würden gewiss auf Vergeltung sinnen. Und in dieser Hinsicht hatten sich die Rieher nicht getäuscht. Doch die Vorpostenketten der Kleinknechte war nicht zu durchbrechen. Immer wieder wurden Rückeroberungsversuche auf allen Anmarschstraßen abgewiesen. In der zweiten Nacht brauchte man nicht mehr zu wachen; denn am ersten Pfingstabend hatte der Maibaum seinen eigentlichen Zweck erfüllt, wie wir bald hören werden. Ob die Kreuzrieher Mädchen bei der Gefechtslage ihren ihnen von Sitte und Brauch her zustehenden Pfingststrauß doch bekamen, vermeldet die Chronik nirgends. Das aber jene unten im Dorfe Riehe, die immer so schnippsch tun konnte und noch jeden Bewerber abgelehnt hatte, von Christoffer Rinthen ein Bündel Erbsenreiser oben über dem Dache in den Schornstein bekam, das wurde am ersten Pfingstmorgen doch viel belacht.
Als Zinrk und Fiikeling sich am Pfingstmorgen sahen, lachte Fiikeling: "Wer woll denn sau düchtig sleapn?" "Ja, eck hewwe sleapn als en Beom." "Wer mag meck denn woll däin Mabusch achtert Keamenfenster brocht hemmn?" "No, wer weit, wat e deck doa för einn ran e socht hast!" "No, dat well seck jeo vaneambd riutstelln!" Wenn es noch einen Beweises bedurft hätte, dann lag er am Abend klar auf der Hand. Philipp war schon frühzeitig zum Abendbrot da, es galt nachher eine Pflicht zu erfüllen, der man sich des guten Friedens halber nicht entziehen konnte.
Nach dem Abendbrot war jung und alt am Maibau versammelt.
Die Mädchen, soweit sie noch nicht öffentlich mit einem Bräutigam sich zu zeigen
wagten, standen aufgeregt vor Tatgens Scheune und warteten, ob sie von irgend einem um den
Maibaum geführt wurden. Philipp, nun einmal vor der Hochzeit stehend, eröffnete den
Reigen. Die Mutter hatte ihm den nötigen Taler in die Hand gedrückt. So führte er
Emerieken um den Maibaum, gab dem rasch gebildeten "Komitee" seinen Taler, um
den Fort- und Ausgang zu erleben. Zinrk war als heimlich Verlobter gleich Philipp gefolgt.
Hier ließ es sich aber Fiikeling, wie es ja üblich war, nicht nehmen, den Preis für die
ihr gewordene Ehre zu zahlen. So lag es denn an Zinrk, sich an Fiikeling mit den all
bekannten Worten zu wenden: "Das geschah der hübschen Jungfer zur Ehre." Damit
überreichte Fiikeling ihre Silbermark und stellte sich neben Philipp und Emerieken. Aber
soweit hatte die Sache für die Neugierigen noch keinen Reiz gehabt. Wer holte aber die
anderen Mädchen heran, die noch alle ihr Silberstück in der Tasche trugen und es gern
opferten, der Ehre halber. Nun, die meisten kamen im bunten Wechsel an die Reihe, Mägde
und Bauerntöchter. Und da wo das "Komitee" Befürchtungen tragen mußte,
sprangen Einzelne dieses Geld einzunehmenden Posten herbei und führten auch die Letzten
um den Pfingstbaum. Schließlich konnte man jedes Silberstück zur Bezahlung der
Musikanten bei der kommenden Sommermusik gebrauchen.
Der zweite Pfingsttag verlief in aller Ruhe. Fiikeling hatte heute morgen die Kühe, und
das war keine aufregende Angelegenheit. Sie brauchte nur aufwärmen, was Emerieken gestern
gekocht hatte. Holte man sonst zu der Sonntagssuppe ein Stück des geräucherten und
getrockneten "Rindfleisches" von der Räucherkammer, so gab es zu Pfingsten
"frische Suppn", zu welcher Fritz Seele von Bantorf das Stück Fleisch
geliefert hatte. Schon am Mittwoch vor dem Feste hatte dieser Schlachter durch seine
Gesellen den achtzehn Zentner schweren "Pfingstochsen" bekränzt und
blumengeschmückt durch die Dörfer führen lassen, jede Hausfrau damit eingeladen, bei
ihm den "Pfingstbraten" zu kaufen. Als nun, nachdem die Kirchgänger
zurückgekehrt waren, das Mittagsmahl gehalten wurde, begann wirklich ein Ruhetag, ein
wohlverdiente.
Otto Lattwesen 1882 1950
(Dorfschullehrer in Riehe)