Rieher Flurnamen
Was sind Flurnamen? Welche Funktionen haben sie?
Unter Flurnamen verstand man früher
oder versteht man auch noch heute,
alle gebräuchlichen Eigennamen für nicht bewohnte Örtlichkeiten
(außerhalb von Siedlungen) wie:
1. Äcker, Gärten, Wiesen und Weiden
2. Berge, Anhöhen und Hügel
3. Wälder, Waldstücke, Gehölze, Heiden, einzelne Bäume und Sträucher (Bians Weei'en)
4. Gewässer, Seen, Teiche, Bäche und alle Arten von Gräben
5. Wege, Triften und Straßen
6. Natur- und Kulturdenkmale, wie: Kirchen, Friedhöfe, Gräberfelder, Hügelgräber, Befestigungsanlagen und Landwehren (z.B. Schaumburger Knick)
7. Unbewohnte Anlagen von Industrie und Wirtschaft, wie: Bergwerke, Gruben, Zechen, Hütten, Ziegeleien, Steinbrüche, Köhlereien usw. (Rieher Gemeinde Brunnen)
Flurnamen wurden in
der Vergangenheit vorwiegend mündlich gebraucht, da der überwiegende Teil der
damaligen bäuerlichen Bevölkerung weder schreiben noch lesen konnte. Die
mündliche Verwendung bedeutet aber zugleich, daß die jeweilige Ortsmundart
(sprich das Plattdeutsch) zum Tragen kam. Bei der schriftlichen Fixierung in
die hochdeutsche Sprache, kam es dann allerdings zu erheblichen
Reibungsverlusten.
Diese Reibungsverluste führten mitunter zu einer völligen Verdunklung und
Unverständlichkeit eines Flurnamens.
In vielen Fällen stimmt die Bedeutung eines Flurnamens mit den realen Gegebenheiten des nach ihm benannten Flurortes nicht mehr überein. Das zeigen die vielen Namen, die auf einen ehemaligen Waldbestand hinweisen, wo heute Acker ist, oder die sumpfiges Niederungsgelände signalisieren, wo heute Weiden, Wiesen oder gar Äcker sind.
Aufgabe und Funktion von Flurnamen
Jeder Flurname soll einen Flurort, als einmalig vorhanden ausweisen und ihn aus der Gesamtmenge aller Flurorte herausheben und kenntlich machen.
Der im ländlichen Raum lebende und arbeitende Mensch mußte sich mit seinen Mitmenschen zuverlässig über gewisse Örtlichkeiten innerhalb der Dorfflur verständigen können. Wer morgens mit dem Pferdegespann den Hof zu Feldarbeiten verließ, wer die weitab vom Dorf gelegene Wiese walzen wollte, der musste sich mit anderen präzise verabreden können, wann er wo anzutreffen war, falls jene ihn erreichen wollten. Wenn es Zeit zum Melken war, mussten auch die Mägde genau wissen, an welcher Stelle sich dann das Milchvieh auf dem täglichen Weideumtrieb befand. Wenn Holz eingeschlagen werden sollte, mußten die Interessenten einen Treffpunkt verabreden können, von dem sie gemeinsam in den Wald zogen.
Alter und Wandel von Flurnamen
Praktisch alle
Flurnamen, auch die heute noch im Alltag Verwendung finden, sind historische
Flurnamen.
Heutzutage werden überhaupt keine neuen Flurnamen mehr gebildet, da kaum noch
ein Bedarf an ihnen besteht. Selbst die Flurnamen, die in unseren Tagen zu
Straßennamen umfunktioniert werden, sind nicht erst im Moment ihrer Verwendung
neu gebildet worden. Auch sie existieren vielmehr bereits seit Jahrhunderten und
blieben über die Zeiten hinweg bewahrtes Kulturgut. Andere hingegen verschwanden
gänzlich aus dem täglichen Gebrauch. Somit blieb uns nur in den Archiven
bewahrt, was über die Jahrhunderte hindurch lebendiger Gebrauch war. Nicht
zuletzt steht uns daher mit unseren Karten aus den Jahren 1776 und 1885 ein
wichtiger „Schatz“ zur Auswertung zur Verfügung.
Aus den Überlegungen
zum Alter der Flurnamen folgt u.a., daß es in einer Dorfgemarkung ältere und
jüngere Flurnamen geben muß. Angesichts der Überlieferungslage ist es jedoch so
gut wie nie möglich, absolute Datierungen vorzunehmen. Ferner lässt sich durch
einen Vergleich unserer Karten von 1776 und 1885 unschwer erkennen, daß über die
Jahrhunderte hinweg Flurnamen verloren gingen. Ob bei Umgestaltungen ein
vorhandener Flurname erhalten blieb oder nicht, hing von der Häufigkeit der
Nutzung und der Wichtigkeit des Flurortes für die Dorfbewohner ab. Daraus
folgte: Je „offizieller“ ein Flurname war, je häufiger er in amtlichen Quellen
oder im Schriftverkehr mit Behörden verwendet wurde, umso größer waren seine
„Überlebenschancen“. Es waren die äußeren Bedingungen, die dazu geführt haben,
daß Flurnamen vielerorts nicht mehr benötigt wurden: Im amtlichen Verkehr genügt
die Angabe der Parzellennummer zur eindeutigen Identifizierung eines
Grundstückes und seiner Lage – warum sollten sich die Behörden aus ihrer Sicht
da noch der viel umständlicheren Flurnamen bedienen?
Neue, nicht mehr auf Flurkarten dokumentierte Flurnamen, sind in unserer
Gemarkung der Sürweg „Upp’n Söierweg“, das Siedlungsland „Upp’n Holtlanne“. „Das
kleine Rad“ und „Bians Weei'en“.
Schlußbemerkung
Was alles aus den Flurnamen abzuleiten ist, brauche ich hier nur anzudeuten. Ob das Geschichte, Siedlungsgeschichte, Familiengeschichte, Landschaftsgeschichte ist oder ob es sich um frühere botanische und zoologische Verhältnisse oder um die Geschichte der Mundart handelt, häufig werden die Flurnamen eine Antwort geben.
Die heutige Jugend zeigt mit wenigen Ausnahmen ein oft befremdliches und unwissendes Verhalten gegenüber den alten Flurnamen. Man gebraucht die altertümlichen Flurnamen nicht mehr sonderlich gern. Aus dieser Erfahrungen heraus wage ich zu sagen, dass fast jeder alte Bauer mit seinem Tode, Teile der Flurnamengeschichte von Riehe mit ins Grab nimmt, bzw. nahm. Da es sich bei seinen verwendeten Flurnamen nur um im Volksmund überlieferte Bezeichnungen handelt die auf keiner Karte verzeichnet sind, sind sie somit unwiderruflich verloren. Wenn wir das alte Flurnamengut für uns und unsere Nachkommen erhalten wollen, müssen wir sie aufarbeiten und festhalten.
Entwicklung der Größe der Rieher Gemarkung:
|
Größe |
Zunahme |
Vor 1779 |
159,81 ha |
|
1779 |
171,02 ha |
11,21 ha |
1886 |
198,81 ha |
27,79 ha |
1925 – 1965 |
237,20 ha |
38,39 ha |
Flurnamensammlung von Riehe:
|
Karte von 1776 |
Karte von 1875 |
|
1. |
In der Ammelwanne |
nicht mehr vorhanden |
|
|
Ammel
= ?? ggf. ein Name oder eine andere Bezeichnung |
||
2. |
Auf dem Linnenbrink |
Der Lindenbrink |
|
|
1776 =
Linnen = Leinen = Flachsanbau oder Bleichplatz für Leinen |
||
3. |
Auf dem Hinsterfeld |
nicht mehr vorhanden |
|
|
hinster
= letztes, hinterliegende Feld |
||
4. |
Über dem diefen Bruch |
Der tiefe Bruch |
|
|
tief
liegende Fläche |
||
5. |
Im diefen Bruch |
nicht mehr vorhanden |
|
|
tief
liegende Fläche |
||
6. |
In der Wiese |
Auf der Wiese |
|
|
Hinweis auf
eine Wiese – ggf. gemeinschaftlich genutzt |
||
7. |
In Dallmeyers Kampe |
nicht mehr vorhanden |
|
|
Dall
= Tal ?? |
||
8. |
Auf der Hausstätte |
Die Hausstätte |
|
|
Hausstätte
= deutet ggf. auf eine ehemalige Siedlungsstätte hin
|
||
9. |
In den Kämpen |
nicht mehr vorhanden |
|
|
Kamp
= Landstück, insbesondere eingefriedetes Stück Land, Weise- oder
Ackerland, auch gehegtes Waldstück, im allgemeinen Privatbesitz |
||
10. |
An der Hausstätte |
An der Hausstätte |
|
|
Flurstück in
der Nähe der Flur „Auf der Hausstätte“ |
||
11. |
Auf der Seewiese |
nicht mehr vorhanden |
|
|
Seewiese
= keinen Hinweis gefunden. |
||
12. |
Auf dem Hasenkamp |
Auf dem Hasenkamp |
|
|
Hasen
= ggf. Hinweis auf ein stärkeres Hasenvorkommen -> Waldrand |
||
13. |
Auf dem großen Radt |
Das große Rad |
|
|
Radt/Rad
= vermutlich Deutung auf eine „runde Erhebung“ oder „alte Grenze |
||
14. |
Die Amtmannswiese |
nicht mehr vorhanden |
|
|
eine Wiese die
Heusinger dem zuständigen Amtmann geschenkt/überlassen hat |
||
15. |
Auf der Masch |
Auf der Masch |
|
|
Masch
= niedrig gelegenes, wasserreiches Weideland – fruchtbare Niederung |
||
16. |
Auf der Assrieh |
Die Assriehe |
|
|
Ass
= - „noch weiter nördlich“ |
||
17. |
In Bocks Kampe |
nicht mehr vorhanden |
|
|
Bock
= Familienname |
||
18. |
Itt Hoff |
nicht mehr vorhanden |
|
|
Itt
= ??? ggf. Name |
||
19. |
Auf der Föhrwiese |
nicht mehr vorhanden |
|
|
es gibt
verschiedene Auslegungen mit unterschiedlichen Schreibweisen, und da
früher auf die Schreibweise nicht so viel Wert gelegt wurde, ist die
Deutung schwierig: |
||
20. |
Auf den Föhren |
nicht mehr vorhanden |
|
|
Auslegungsarten siehe oben |
||
21. |
Boben den Häusern |
nicht mehr vorhanden |
|
|
Boben
= oben/oberhalb |
||
22. |
noch nicht vorhanden |
Auf der Riehe |
|
|
Rieh
= Bach, kleiner Wasserlauf, Graben |
||
23. |
noch nicht vorhanden |
Der Pfingstanger |
|
|
Anger
= Grasland, festes Land, das mit Gras, Klee oder Kräutern bewachsen ist
|
||
24. |
nicht vorhanden (nur sprachlich überliefert) |
nicht vorhanden (nur sprachlich überliefert) |
|
|
„Upp’n
Söierweg“: |
||
25. |
nicht vorhanden (nur sprachlich überliefert) |
nicht vorhanden (nur sprachlich überliefert) |
|
|
„Upp’n
Holtlanne“: |
Gemarkungskarte von Riehe
(sie soll dazu dienen, die Örtlichkeiten der Flurnamen nach den Nummern der Übersicht wieder zu finden)
Quellen:
· Flurnamenforschung, Ulrich Scheuermann
· Handbuch für Heimatforschung in Nds, Helmut Jäger
· Nds. Staatsarchiv Bückeburg
· Semesterarbeit über Riehe, Klaus-Dieter Rogge