Dorfweihnacht in der Grafschaft Schaumburg

Von Walter Barß (in zeitgenössischer Ausdrucksform von 1934)

Wenn am Christheiligabend vom Kirchturm des Heimatdörfchens die Glockenklänge ins Tal steigen, dann ist die Stunde gekommen, wo das Landvolk in der Grafschaft Schaumburg sich für die Christvesper rüstet. Was die alten Frauen sind, die mummen sich tief in die Umschlagtücher ein und tun Häcksel in die Säcke, die ihnen als Fußschutz dienen sollen; denn noch kennt nicht jedes kleine Gotteshaus unseres Landes die Heizung. Die Jüngeren knüpfen sich den Wollschal enger um den Hals, suchen aus der Kammer die Sonntagsholzschuhe hervor und stopfen sie frisch mit Heu aus, denn Heu hält warm. Liegt Schnee auf der Dorfstraße, so leuchtet das ein bißchen, aber die alten Mütterchen halten es mit dem Spruch: "Vorsicht ist die Mutter der Weisheit!" Sie nehmen die kleine Stallaterne mit und verwahren sie während der Andacht unter der Kirchenbank. Es gibt wohl kaum einen Bewohner im Ort, der heut nicht den Weg ins Gotteshaus findet, es sei denn, daß er krank oder gar zu gebrechlich wäre. Am Christfestabend ist die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt. Das ist Urväterart und Familiensitte. Die Kirchengemeinde hat, wie in all den Jahren, zwei mächtige Tannenbäume erstanden. Die stehen jetzt in hellem Lichterglanz zu beiden Seiten des geschnitzten alten Holzaltars.

Vom Chor herab braust die kleine Orgel auf; sie gibt mit allen Registern her, was sie zu leisten imstande ist. "O du fröhliche, o du selige" braust es hernieder, und die hellen Kinderstimmen jubeln dazwischen, wie wenn die Lerchen ihren Lenzgesang in der Morgenfrühe über die Flur schmettern. Und nach dem Gesang kommt die Schriftverlesung. Alt und jung kennt den Text. Es ist die uralt-schöne, ewig-traute Geschichte von der Geburt Jesu im Stall zu Bethlehem.

Aufs neue tönt die Orgel. Diesmal aber leise. Sie hebt mit dem weichen Lied an: "Es ist ein Ros‘ entsprungen". Man muß in solchen Minuten unter den Kirchgängern im dörflichen Gotteshaus gesessen haben, um etwas zu spüren von dem tiefen Zauber, den dieses Lied bei den Alten auslöst. Ihre müden Augen werden naß und ihre welken Wangen heiß. Kindheit und Jugend und selige Zeiten von einst steigen auf, und die leuchtenden Lichter der Tannenbäume verklären die Erinnerungen mit frohem Glanz.

Nach dem Lied geht eine Unruhe durch die Reihen. Einige Besucher erheben sich, andere treten in den Gang. Sie wollen das Krippenspiel da vorn am Altar gut beobachten, das ein Junge nun ankündigt. Ein allerliebstes Spiel, das da die Kinder unter Hilfe des Lehrers und der Pastorfrau aufführen. Ein großes Mädchen sitzt als Mutter Maria an der kleinen, von einem der Schüler gezimmerten Krippe. Josef steht neben ihr. Die Hirten kommen und knien nieder. Engel erscheinen, kleine Mädchen in weißen, wallenden Gewändern und mit goldenen Kronen, und singen mit hellen, klaren Stimmen das " Ehre sei Gott in der Höhe".

Das Spiel ist zu Ende. Da tritt noch einmal der Pfarrer vor den Altar; er spricht das Schlußgebet und segnet die Weihnachtsschar. Die Orgel setzt leise ein mit "Stille Nacht, heilige Nacht", zum Schluß hin immer stärker werdend. Einige Augenblicke Stille! Dann blitzt es auf. Die Laternen werden entzündet oder angeknipst, und froh bewegt schwärmt die schwarze Besucherschar nach allen Richtungen auseinander, der Bescherung entgegen.

Ich weiß nicht, ob’s überall noch heute noch in unseren Dörfern die Weihnachtsfrühmette gibt. Vor dreißig Jahren wurde sie fast überall gehalten; auch das Urväterart – alte Dorfsitte! An diesem Morgen der ersten Weihnachtsfrühe kennt man keine Müdigkeit. Selbst die Kinder wollen vom Schlaf nichts mehr wissen, obwohl die Mette schon um 6 Uhr beginnt. Sie können kaum vor Ungeduld den Weihnachtsmorgen erwarten: "Einmal werden wir noch wach, heißa, dann ist’s Weihnachtstag!" Wissen sie doch, daß nach der Mette die Bescherung stattfindet, die freilich jetzt wohl überall auf den Heiligabend verlegt ist. Dann tut sich das Tor der Weihnachtswunder auf, dann am Tannenbaum die Kerzen, und unter ihm hat das Christkind all die Geschenke aufgebaut. "Welche Freude, welcher Jubel wird dann in ihrem Hause sein!"

Am Nachmittag des ersten Christtages schwirrt es dann auf der Dorfstraße von Kindern. Sie eilen zu Verwandten, Freunden und Freundinnen, um zu sehen, was dort der "Weihnachtsmann" gebracht hat. Auch die Alten und die Eltern besuchen sich gegenseitig, um unterm Christbaum ein Plauderstündchen zu halten. O du fröhliche, o du selige dörfliche Weihnachtszeit!

Quelle:
Heimatblätter, Beilage zur Schaumburger Zeitung vom 21.12.1934

 

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