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13.08.2005

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St. Petersburg, Moskau und Konstantinopel gesehen

Heusinger von Waldegg – ein Stück Rieher Geschichte / „Glück-Auf-Riehe“ feiert beim 19. Pumpenfest prominenten Bürger

Wenn sich heute, Sonnabend, die Rieher Bevölkerung und interessierte Besucher zum 19. Pumpenfest „An der Pumpe“ zwischen Riehe und Waltringhausen versammeln, wird ein bedeutender Mitbürger Dorfgespräch sein: Gottlieb Hieronymus Werner Heusinger von Waldegg. So lang wie der Name ist auch seine Geschichte.
Riehe.
Der Eigentümer des Edelhofes war Pastor, kaiserlich russischer Oberstleutnant und braunschweig-lüneburgischer Kriegskommissar, Dichter mit 20 eigenen plus fünf Stiefkindern – und ist längst fester Bestandteil der Rieher Geschichte. Und Geschichte ist auch das Stichwort, das sich der„Arbeitskreis Heimatgeschichte“ im Verein „Glück-Auf-Riehe“ auf die Fahne geschrieben hat. Mit einer aufschlussreichen Ausstellung beleuchtet das Team um Wilhelm und Ralf Schröder das Leben des letzten Gutsherren in Riehe. Wer waren die Heusingers und wo sind sie geblieben? Dabei sind sie ungelösten Geheimnissen auf die Spur gekommen.
Wie eine Burg sei das riesige Grundstück des Edelhofes damals mit einem Bach umschlossen gewesen, berichtete der stellvertretende Vorsitzende Ralf Schröder und zeigt die verrohrten Gräben. Sichtbare Spuren des Edelhofes sucht man vergebens. Außer dem Straßennamen und einem Stein mit der Jahreszahl 1753 ist von dem Adelsgeschlecht nichts mehr geblieben. „Das könnte ein Grabstein sein, seine Frau ist in diesem Jahr gestorben, mutmaßt Wilhelm Schröder. Sein Sohn tippt eher auf „einen Stein zur Erinnerung an den Einzug der Familie in Riehe“.
Die Rätsel der Vergangenheit faszinieren die beiden Chronisten. Längst haben sie das Gefühl, Heusinger persönlich zu kennen. Zehn Jahre beschäftige er sich schon mit Heimatgeschichte, sagt Wilhelm Schröder. In 2001 bildete sich innerhalb des Vereins „Glück-Auf-Riehe“ ein kleiner „Arbeitskreis Heimatgeschichte“ mit dem Ziel, die Rieher Geschichte für die Nachwelt zu archivieren. Zudem versuche der Verein „das dörfliche Zusammenleben attraktiver zu gestalten und auf eine breite Basis zu stellen“, betont Ralf Schröder.
Zu diesem Zweck gestaltet der Arbeitskreis für die jährlichen Pumpenfeten eine Fotoausstellung zu wechselnden Themen und gibt zum Jahresende die beliebten „Rieher Heimatblätter“ heraus. Zeitzeugenbefragungen, stöbern in Archiven und im Internet waren unerlässlich für die Recherche. Wichtigste Informationsquelle sei ein Buch über die Familie Heusinger von Waldegg gewesen, das sich Ralf Schröder im Zentralen Verzeichnis für antiquarische Bücher besorgt habe. Schnell habe sich gezeigt: Die Familie des Gutsherrn ist weit über Schaumburgs Grenzen hinaus bekannt. Auch in Hannover Leinhausen ist eine Straße nach Heusinger benannt worden. „Aber in Nenndorf laufen alle Fäden zusammen“, so Schröder.
In dem riesigen Stammbaum, haben Vater und Sohn Schröder einige herausragende Persönlichkeiten entdeckt. Wie Edmund, 1819 geborener Eisenbahnpionier, der die „Heusingersteuerung“ für die Dampflok erfand. Oder seine Schwester, die mit dem Erzbischof von Apelern verheiratet war. Gottlieb Hieronymus Werner Heusinger von Waldegg selbst wurde 1714 geboren und hatte eine faszinierende Lebensgeschichte geprägt von Fleiß und religiösen Studien. Harten Zeiten begegnete er mit christlichem Glauben und Poesie. Immer an seinem Geburtstag habe er Verse verfasst zu den Ereignissen im vergangenen Jahr. „Einen Spiegel des Zeitgeistes“ habe er mit seinen 24 verbliebenen Gedichten und Kirchenliedern hinterlassen, zeigte sich Wilhelm Schröder fasziniert.
Außer Unwettern ist von Schicksalsschläge die Rede: „In einem Jahr hat er drei seiner Kinder an einem Tag verloren“, so Ralf Schröder. Nach einem Studium der Theologie habe Heusinger auf Zureden des Erbprinzen, des späteren Herzog Karl von Braunschweig, eine Offiziersstelle bei der Garde angenommen. „Er hatte ein stattliches Aussehen, der muss zum Militär“, erklärte sich Schröder Senior diese Wendung im Leben Heusingers. „Als Prinz Anton Ulrich von Braunschweig die Großfürstin Anna Elisabeth heiratete, ging er als Begleiter mit nach St. Petersburg“. Dort sei er hoch verehrt und mit vielen ehrenvollen Aufgaben betraut worden, hat Schröder weiter recherchiert. Im zweiten Jahr seines Aufenthaltes in Russland brach die Thronrevolution aus, die den jungen Zaren Ivan IV, dessen Vater Prinz Anton Ulrich und dessen Ehefrau ins Gefängnis brachte und alle Angehörigen des Hofstaates in die Verbannung nach Sibirien schickte. „Nur Heusinger von Waldegg entging diesem Schicksal, weil er als Gesandter in Konstantinopel (Istanbul) weilte“, haben die Chronisten ermittelt.
Als er nichts ahnend zurück gekehrt sei, habe er in Moskau noch rechtzeitig von den Ereignissen erfahren und kehrte als „kaiserlich russischer Oberstleutnant und braunschweig-lüneburgischer Kriegskommissar“ in seine Heimat zurück. Er heiratete in Rehren A/O Philippine Charlotte Clodius (Witwe mit fünf Kindern) und zog nach Riehe. Schnell habe er es zu Wohlstand und sechs weiteren Kindern gebracht, so Schröder weiter. „Der Hof erlebte seine Blütezeit.“
Bei der Geburt des sechsten Kindes verstarb indes seine Frau (1753) und es sei zu Schwierigkeiten zwischen den verschiedenen „Kindergruppen“ gekommen, erkannte Schröder in den Gedichten des Adligen. In zweiter Ehe mit Ernestine Louise Wippo, der Tochter des Pastors Wippo aus Groß Nenndorf, kamen weitere 14 Kinder zur Welt. Als Gottlieb Hieronymus Werner Heusinger von Waldegg am 25. Mai 1796 „auf Riehe“ verstarb sei er in der „Riehe'schen Gruft“ in der alten Godehardikirche zu Groß Nenndorf beigesetzt worden. Diese Gruft, in der noch 16 weitere seines Geschlechtes liegen, wurde im Rahmen des Neubaues der alten Kirche zugeschüttet. Mit ihm endete eine Ära: Die Streitigkeiten zwischen seinen Kindern spitzten sich zu und das Gut musste veräußert werden, um die Schulden des ältesten Sohnes zu tilgen, hat der Arbeitskreis herausgefunden. Das Anwesen sei unter den Riehern und Kreuzriehern aufgeteilt worden. Das Ergebnis: In Riehe gab es keinen Gutshof mehr. Nur das Straßenschild „Heusingerweg“ im Ortskern erinnert heute noch an das Adelsgeschlecht.
Die Ergebnisse der Nachforschungen gehen in die diesjährige Ausgabe des „Rieher Heimatblattes“ ein, das immer zur Weihnachtszeit erscheint. So lange warten? Das muss nicht sein. Wer den berühmten Rieher Bürger und sein Leben kennen lernen will, kann sich am Sonnabend ab 15 Uhr „An der Pumpe“ auf Spurensuche begeben. Und vermutlich mit dem letzten lebenden Nachfahren sprechen. Ralf Schröder bestätigte: „Der hat sich für einen Besuch aus Kassel angesagt.“ Ines Teschner

 

Pastor Hieronymus Werner Heusinger von Waldegg in Groß Vahlberg hat sich 1720 mit seiner Familie vor einem Kruzifix malen lassen. Auf dem Bild ist der Pfarrer mit seinen acht Söhnen rechts vor dem Kruzifix zu sehen und die Mutter mit den vier Töchtern auf der linken Seite. Der spätere Gutsbesitzer ist der jüngste Sohn (links), das so genannte „Dutzendkind“.

 

Auf den Spuren des berühmten Gutsherrn: Wilhelm (links) und Ralf Schröder investieren viel Zeit in die Recherche über die Geschichte ihres Heimatortes. Ganz unten im Stammbaum findet sich der Vater (Dieter) des letzten Heusinger von Waldegg, der sich für einen Besuch bei der Pumpenfete angesagt hat. Wetten dass sich die Schröders mittlerweile besser mit seinem Stammbaum auskennen als er? tes (2)

 

 

 

Geheimnis um verschwundenen Zarensohn

Pastor Gottlieb Hieronymus Werner Heusinger von Waldegg hat auch krumme Sachen gemacht“, berichtete Wilhelm Schröder. In den Wirren der Russischen Thronrevolution habe er vor seiner Flucht nach Deutschland ein schwedisches Gefangenenkind gegen den kleinen Zaren Ivan ausgetauscht. Und bewahrte so den Thronfolger vor der Verbannung nach Sibirien, hat der Arbeitskreis Heimatgeschichte in den Aufzeichnungen herausgefunden. Die Erlebnisse des Rieher Gutsherrn in Russland haben das Interesse der Historiker erregt. Wo der kleine Ivan verblieben ist, sei bislang unbekannt geblieben, bedauerte Schröder. „Das Geheimnis hat Heusinger mit ins Grab genommen“. Wer weiß, vielleicht stammt mancher Schaumburger von einem Zaren ab. tes

  

Kampf gegen den Aberglauben

Die Familie Heusinger von Waldegg hat auch in Schaumburg weite Kreise gezogen: In Sachsenhagen befreite sein dritter Sohn aus zweiter Ehe die Gemeinde von einem Aberglauben. „Hier versammelte sich bei einem aufziehenden Gewitter der Pastor mit der Gemeinde im Gotteshaus, wo so lange Andacht gehalten wurde und die Glocken läuteten, bis das Gewitter vorüber war“, hat Ralf Schröder recherchiert. Man habe geglaubt, so das Gewitter zu „bannen“.
Gottlieb Hieronymus Werner Heusinger von Waldegg junior kam 1789 als Pastor nach Sachsenhagen – und erreichte die Abschaffung dieser Unsitte. Mit dem Erfolg, dass ihn die Sachsenhäger für einen „gefährlichen“ Menschen hielten. Man kränkte und beleidigte ihn durch unhöfliches und ungesittetes Verhalten und verklagte ihn beim Landgrafen von Hessen. Dieser gab ihm jedoch „seine völlige Zustimmung in dem heißen Kampfe gegen den so tief gewurzelten Aberglauben“ zu erkennen. Der Verdruss mit der Gemeinde blieb und er kehrte 1801 nach Groß Nenndorf an seine Heimatkirche zurück. Eine weise Entscheidung: Im reichen Nenndorf verdiente er außer seinen „Naturalien" (Dienstwohnung, Abgaben und Dienst) 1118 Reichsthaler im Jahr, in Sachsenhagen waren es nur 301 Reichsthaler. tes

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