St. Petersburg, Moskau und
Konstantinopel gesehen
Heusinger von Waldegg – ein Stück
Rieher Geschichte / „Glück-Auf-Riehe“ feiert beim 19. Pumpenfest prominenten
Bürger
Wenn sich heute, Sonnabend, die
Rieher Bevölkerung und interessierte Besucher zum 19. Pumpenfest „An der
Pumpe“ zwischen Riehe und Waltringhausen versammeln, wird ein bedeutender
Mitbürger Dorfgespräch sein: Gottlieb Hieronymus Werner Heusinger von
Waldegg. So lang wie der Name ist auch seine Geschichte.
Riehe. Der Eigentümer des
Edelhofes war Pastor, kaiserlich russischer Oberstleutnant und
braunschweig-lüneburgischer Kriegskommissar, Dichter mit 20 eigenen plus
fünf Stiefkindern – und ist längst fester Bestandteil der Rieher Geschichte.
Und Geschichte ist auch das Stichwort, das sich der„Arbeitskreis
Heimatgeschichte“ im Verein „Glück-Auf-Riehe“ auf die Fahne geschrieben hat.
Mit einer aufschlussreichen Ausstellung beleuchtet das Team um Wilhelm und
Ralf Schröder das Leben des letzten Gutsherren in Riehe. Wer waren die
Heusingers und wo sind sie geblieben? Dabei sind sie ungelösten Geheimnissen
auf die Spur gekommen.
Wie eine Burg sei das riesige Grundstück des Edelhofes damals mit einem Bach
umschlossen gewesen, berichtete der stellvertretende Vorsitzende Ralf
Schröder und zeigt die verrohrten Gräben. Sichtbare Spuren des Edelhofes
sucht man vergebens. Außer dem Straßennamen und einem Stein mit der
Jahreszahl 1753 ist von dem Adelsgeschlecht nichts mehr geblieben. „Das
könnte ein Grabstein sein, seine Frau ist in diesem Jahr gestorben, mutmaßt
Wilhelm Schröder. Sein Sohn tippt eher auf „einen Stein zur Erinnerung an
den Einzug der Familie in Riehe“.
Die Rätsel der Vergangenheit faszinieren die beiden Chronisten. Längst haben
sie das Gefühl, Heusinger persönlich zu kennen. Zehn Jahre beschäftige er
sich schon mit Heimatgeschichte, sagt Wilhelm Schröder. In 2001 bildete sich
innerhalb des Vereins „Glück-Auf-Riehe“ ein kleiner „Arbeitskreis
Heimatgeschichte“ mit dem Ziel, die Rieher Geschichte für die Nachwelt zu
archivieren. Zudem versuche der Verein „das dörfliche Zusammenleben
attraktiver zu gestalten und auf eine breite Basis zu stellen“, betont Ralf
Schröder.
Zu diesem Zweck gestaltet der Arbeitskreis für die jährlichen Pumpenfeten
eine Fotoausstellung zu wechselnden Themen und gibt zum Jahresende die
beliebten „Rieher Heimatblätter“ heraus. Zeitzeugenbefragungen, stöbern in
Archiven und im Internet waren unerlässlich für die Recherche. Wichtigste
Informationsquelle sei ein Buch über die Familie Heusinger von Waldegg
gewesen, das sich Ralf Schröder im Zentralen Verzeichnis für antiquarische
Bücher besorgt habe. Schnell habe sich gezeigt: Die Familie des Gutsherrn
ist weit über Schaumburgs Grenzen hinaus bekannt. Auch in Hannover
Leinhausen ist eine Straße nach Heusinger benannt worden. „Aber in Nenndorf
laufen alle Fäden zusammen“, so Schröder.
In dem riesigen Stammbaum, haben Vater und Sohn Schröder einige
herausragende Persönlichkeiten entdeckt. Wie Edmund, 1819 geborener
Eisenbahnpionier, der die „Heusingersteuerung“ für die Dampflok erfand. Oder
seine Schwester, die mit dem Erzbischof von Apelern verheiratet war.
Gottlieb Hieronymus Werner Heusinger von Waldegg selbst wurde 1714 geboren
und hatte eine faszinierende Lebensgeschichte geprägt von Fleiß und
religiösen Studien. Harten Zeiten begegnete er mit christlichem Glauben und
Poesie. Immer an seinem Geburtstag habe er Verse verfasst zu den Ereignissen
im vergangenen Jahr. „Einen Spiegel des Zeitgeistes“ habe er mit seinen 24
verbliebenen Gedichten und Kirchenliedern hinterlassen, zeigte sich Wilhelm
Schröder fasziniert.
Außer Unwettern ist von Schicksalsschläge die Rede: „In einem Jahr hat er
drei seiner Kinder an einem Tag verloren“, so Ralf Schröder. Nach einem
Studium der Theologie habe Heusinger auf Zureden des Erbprinzen, des
späteren Herzog Karl von Braunschweig, eine Offiziersstelle bei der Garde
angenommen. „Er hatte ein stattliches Aussehen, der muss zum Militär“,
erklärte sich Schröder Senior diese Wendung im Leben Heusingers. „Als Prinz
Anton Ulrich von Braunschweig die Großfürstin Anna Elisabeth heiratete, ging
er als Begleiter mit nach St. Petersburg“. Dort sei er hoch verehrt und mit
vielen ehrenvollen Aufgaben betraut worden, hat Schröder weiter
recherchiert. Im zweiten Jahr seines Aufenthaltes in Russland brach die
Thronrevolution aus, die den jungen Zaren Ivan IV, dessen Vater Prinz Anton
Ulrich und dessen Ehefrau ins Gefängnis brachte und alle Angehörigen des
Hofstaates in die Verbannung nach Sibirien schickte. „Nur Heusinger von
Waldegg entging diesem Schicksal, weil er als Gesandter in Konstantinopel
(Istanbul) weilte“, haben die Chronisten ermittelt.
Als er nichts ahnend zurück gekehrt sei, habe er in Moskau noch rechtzeitig
von den Ereignissen erfahren und kehrte als „kaiserlich russischer
Oberstleutnant und braunschweig-lüneburgischer Kriegskommissar“ in seine
Heimat zurück. Er heiratete in Rehren A/O Philippine Charlotte Clodius
(Witwe mit fünf Kindern) und zog nach Riehe. Schnell habe er es zu Wohlstand
und sechs weiteren Kindern gebracht, so Schröder weiter. „Der Hof erlebte
seine Blütezeit.“
Bei der Geburt des sechsten Kindes verstarb indes seine Frau (1753) und es
sei zu Schwierigkeiten zwischen den verschiedenen „Kindergruppen“ gekommen,
erkannte Schröder in den Gedichten des Adligen. In zweiter Ehe mit Ernestine
Louise Wippo, der Tochter des Pastors Wippo aus Groß Nenndorf, kamen weitere
14 Kinder zur Welt. Als Gottlieb Hieronymus Werner Heusinger von Waldegg am
25. Mai 1796 „auf Riehe“ verstarb sei er in der „Riehe'schen Gruft“ in der
alten Godehardikirche zu Groß Nenndorf beigesetzt worden. Diese Gruft, in
der noch 16 weitere seines Geschlechtes liegen, wurde im Rahmen des Neubaues
der alten Kirche zugeschüttet. Mit ihm endete eine Ära: Die Streitigkeiten
zwischen seinen Kindern spitzten sich zu und das Gut musste veräußert
werden, um die Schulden des ältesten Sohnes zu tilgen, hat der Arbeitskreis
herausgefunden. Das Anwesen sei unter den Riehern und Kreuzriehern
aufgeteilt worden. Das Ergebnis: In Riehe gab es keinen Gutshof mehr. Nur
das Straßenschild „Heusingerweg“ im Ortskern erinnert heute noch an das
Adelsgeschlecht.
Die Ergebnisse der Nachforschungen gehen in die diesjährige Ausgabe des „Rieher
Heimatblattes“ ein, das immer zur Weihnachtszeit erscheint. So lange warten?
Das muss nicht sein. Wer den berühmten Rieher Bürger und sein Leben kennen
lernen will, kann sich am Sonnabend ab 15 Uhr „An der Pumpe“ auf Spurensuche
begeben. Und vermutlich mit dem letzten lebenden Nachfahren sprechen. Ralf
Schröder bestätigte: „Der hat sich für einen Besuch aus Kassel angesagt.“
Ines Teschner
|
Pastor Hieronymus Werner Heusinger von
Waldegg in Groß Vahlberg hat sich 1720 mit seiner Familie vor einem Kruzifix
malen lassen. Auf dem Bild ist der Pfarrer mit seinen acht Söhnen rechts vor
dem Kruzifix zu sehen und die Mutter mit den vier Töchtern auf der linken
Seite. Der spätere Gutsbesitzer ist der jüngste Sohn (links), das so
genannte „Dutzendkind“.
Auf den Spuren des
berühmten Gutsherrn: Wilhelm (links) und Ralf Schröder investieren viel Zeit
in die Recherche über die Geschichte ihres Heimatortes. Ganz unten im
Stammbaum findet sich der Vater (Dieter) des letzten Heusinger von Waldegg,
der sich für einen Besuch bei der Pumpenfete angesagt hat. Wetten dass sich
die Schröders mittlerweile besser mit seinem Stammbaum auskennen als er?
tes (2)
Geheimnis um verschwundenen Zarensohn
Pastor Gottlieb Hieronymus Werner
Heusinger von Waldegg hat auch krumme Sachen gemacht“, berichtete Wilhelm
Schröder. In den Wirren der Russischen Thronrevolution habe er vor seiner
Flucht nach Deutschland ein schwedisches Gefangenenkind gegen den kleinen
Zaren Ivan ausgetauscht. Und bewahrte so den Thronfolger vor der Verbannung
nach Sibirien, hat der Arbeitskreis Heimatgeschichte in den Aufzeichnungen
herausgefunden. Die Erlebnisse des Rieher Gutsherrn in Russland haben das
Interesse der Historiker erregt. Wo der kleine Ivan verblieben ist, sei
bislang unbekannt geblieben, bedauerte Schröder. „Das Geheimnis hat
Heusinger mit ins Grab genommen“. Wer weiß, vielleicht stammt mancher
Schaumburger von einem Zaren ab. tes
Kampf gegen den Aberglauben
Die Familie Heusinger von Waldegg hat
auch in Schaumburg weite Kreise gezogen: In Sachsenhagen befreite sein
dritter Sohn aus zweiter Ehe die Gemeinde von einem Aberglauben. „Hier
versammelte sich bei einem aufziehenden Gewitter der Pastor mit der Gemeinde
im Gotteshaus, wo so lange Andacht gehalten wurde und die Glocken läuteten,
bis das Gewitter vorüber war“, hat Ralf Schröder recherchiert. Man habe
geglaubt, so das Gewitter zu „bannen“.
Gottlieb Hieronymus Werner Heusinger von Waldegg junior kam 1789 als Pastor
nach Sachsenhagen – und erreichte die Abschaffung dieser Unsitte. Mit dem
Erfolg, dass ihn die Sachsenhäger für einen „gefährlichen“ Menschen hielten.
Man kränkte und beleidigte ihn durch unhöfliches und ungesittetes Verhalten
und verklagte ihn beim Landgrafen von Hessen. Dieser gab ihm jedoch „seine
völlige Zustimmung in dem heißen Kampfe gegen den so tief gewurzelten
Aberglauben“ zu erkennen. Der Verdruss mit der Gemeinde blieb und er kehrte
1801 nach Groß Nenndorf an seine Heimatkirche zurück. Eine weise
Entscheidung: Im reichen Nenndorf verdiente er außer seinen „Naturalien"
(Dienstwohnung, Abgaben und Dienst) 1118 Reichsthaler im Jahr, in
Sachsenhagen waren es nur 301 Reichsthaler. tes |